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Geschichte


Geschichtliches

Sellenstedt ist einer von zwölf Orten der Einheitsgemeinde Sibbesse im Landkreis Hildesheim. Der kleine Ort liegt zwischen den Sieben Bergen im Nordwesten, dem Hildesheimer Wald im Norden, dem Heber im Süd-Südosten und dem Sackwald im Südwesten. Von Sellenstedt aus gelangt man über die L 469 durch den Sackwald über den „Adenstedter Berg“ in das westlich gelegene Alfeld, über die L 485 erreicht man in nördlicher Richtung und über den „Roten Berg“ das gut 20 km entfernt liegende Hildesheim.

Sellenstedt findet 1022 in der Gründungsurkunde des Michaelisklosters zu Hildesheim erste Erwähnung. In dieser werden die Güter genannt, die zum Besitz des Klosters gehören, wozu auch Güter in Sellenstedt, damals noch unter dem Namen „Scellenstede“, zählten. Darüber hinaus geht die Forschung davon aus, dass es sich bei Siedlungen mit Namensendungen wie „stede/stide/stedt um sehr alte Orte handelt, deren Ackerböden von sesshaft werdenden Bauern genutzt wurden.

Bei der Besiedlung achtete man offensichtlich darauf, dem durch die Talsohle des Ortes verlaufenden Bach, der bei den Dorfbewohnern noch heute „Selle“ genannt wird, nicht zu nahe zu kommen und der Gefahr einer Überschwemmung auszuweichen. Aus diesem Grund entstanden dominierende Häuserreihen entlang zweier noch heute bestehender Straßen (Krugkamp im Norden und Küchengarten im Süden), deren Flächen zum Bach hin nur durch Gärten genutzt wurden. Die Talsohle war durch einen den Bach begleitenden Weg (heute Lindenweg) erschlossen. Dieser stieß an der Stelle, an der früher das Gutshaus stand, an die Gutsgrenze und nahm dort deshalb eine Biegung im rechten Winkel und endete an der nördlich gelegenen Dorfstraße.

Diese historische Grundstruktur der Bebauung Sellenstedts hat sich bis heute erhalten, die Außengrenzen sind nach wie vor durch Krugkamp und Küchengarten, die Landstraße im Westen und der Hermann-Otto-Straße im Osten festgelegt.

Noch bis 1024 war Sellenstedt im Besitz der Liudolfinger, die zwischen 962 und 1024 mit drei aufeinanderfolgenden Herrschern die Kaiserkrone innehatten. Als Otto III. kinderlos verstarb, fiel das Deutsche Reich an die Salier und Sellenstedt damit an das Kloster Gandersheim. Um 1200 wird ein Ritter von Sellenstedt erwähnt, dessen Familie im Raum des Stifts Hildesheim sehr begütert war. Sie besaßen Lehen des Klosters in Gandersheim und damit den Burgsitz und Ländereien in Sellenstedt und waren für die Sicherung des Rennstieges, dem historischen Kurierweg vom Domhof Hildesheim zur Winzenburg, der auch durch die zu Sellenstedt gehörenden Waldgebiete verlief, verantwortlich. Heute weiß man, dass sie jedoch nicht Namensgeber des Ortes waren, sondern sich vielmehr nach diesem benannten.

In ihrem Wappen führten die Herren von Sellenstedt eine fünfblättrige Rose, weshalb das Sellenstedtern Ortswappen auch heute noch eine heraldische goldene Doppelrose auf blauem Grund zeigt.

Der letzte in Sellenstedts Geschichte bekannte Namensträger war Johan Ludolf von Sellenstedt (1395-1457), der mit Adelheid von Cramme verheiratet war. Ihr einziges Kind war Anna Catharina von Sellenstedt, die 1458 Ludolf von Rauschenplat heiratet. Damit ging das Gandersheimer Lehen in Sellenstedt an die Herren von Rauschenplat und der Familienname von Sellenstedt war erloschen.

Die Herren von Rauschenplat waren dem Fürstbischof von Hildesheim als Burgmannen der Winzenburg verpflichtet und Hendrik von Rauschenplat (1460-1537), einziger Sohn von Ludolf und Anna Catharina,  blieb während der Hildesheimer Stiftsfehde zwischen dem Bischof und dem Herzog von Braunschweig auf der Seite des Domkapitels. So verlor er 1522 nach der Niederlage des Bischofs und der Eroberung der Winzenburg seinen gesamten Besitz. Sellenstedt wurde braunschweigisch und neuer Burgherr war der Amtmann von Winzenburg. Im Winzenburger Erbregister sind zu dieser Zeit namentlich vier Meierhöfe und 18 Kothöfe in Sellenstedt verzeichnet, die dem Gutsherrn zu Zehntabgaben und Diensten verpflichtet waren. Einige dieser Namen werden noch heute von Sellenstedter Familien geführt.

Die Besitztümer und somit auch Sellenstedt erhielt der Enkel Hendriks, Hermann von Rauschenplat, erst im Jahre 1601 durch den Landesherrn zurück.

Während der Jahre des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) litten auch die Sellenstedter an den Folgen durchziehender Truppen, wozu die Heere Wallensteins und Tillys gehörten. Die Dorfbewohner verloren durch Plünderungen und Brände ihr Hab und Gut, die Dorfkirche wurde zerstört.

Der gesamte Besitz der von Rauschenplat ging nach Hermanns Tod an seinen Vetter Julius Franz. Dessen Urenkel Gustav musste das Gut 1732 zeitweise an die Herren von Wrisberg verpfänden, wobei das Gutshaus Wohnsitz den von Rauschenplat blieb und diese die neuerrichtete Sellenstedter Kirche weiterhin mit Stiftungen versahen.

Während der Herrschaft Napoleons in Europa und der Zeit des Königreichs Westfalens wurde das Land in Kantone aufgeteilt. Von Rauschenplat hatte das Amt des Vorstehers des Kantons Bodenburg inne, zu dem auch Sellenstedt gehörte.

Friedrich Christian von Rauschenplat (1769-1841) verkaufte Sellenstedt 1807 schließlich an Christoph Friedrich Lüntzel, einen wohlhabenden Kaufmann und Bürgermeister von Hildesheim. Dessen Erben verkauften das Gut mit den dazugehörenden Ländereien 1937 an die Freiherrn von Steinberg auf Brüggen.

Nachdem sich durch die 1833 erlassene Ablöseverordnung die Besitzverhältnisse zwischen Gutsherren und Bauern veränderten, wurde auch den Sellenstedter Bauern das Recht eingeräumt, ihren Grundbesitz durch Geldzahlungen von Lehnsauflagen zu befreien. Es vergingen allerdings dreißig Jahre, bis alle Höfe in Sellenstedt ihre Verhandlungen mit dem Gutsherrn abgeschlossen hatten.

Durch Erbfall kam das Gut in Sellenstedt 1911 an die Familie von Cramm. Die Alleinerbin Jutta Freifrau von Cramm verkaufte 1928 die Besitzungen in Sellenstedt und das Rittergut wurde damit aufgelöst. Die Ländereien im Norden, Osten und Süden erwarben Sellenstedter Landwirte, die noch verbliebenen Ackerflächen, Wiesen, Weideflächen sowie der gesamte Sellenstedter Forst und alle Gebäude des Rittergutes gingen, ebenfalls durch Verkauf, an Friedrich Weinhagen und nach dessen Tod in das Vermögen der Friedrich Weinhagen Stiftung über. Wie mehrere Schenkungen in der Sellenstedter Kirche zeigen, blieben die Familien von Rauschenplat und von Steinberg dem Ort jedoch bis ins 20. Jh. hinein verbunden.

Während der beiden Weltkriege blieb Sellenstedt äußerlich von Zerstörungen verschont, hatte aber gefallene und vermisste Mitbürger zu beklagen. Nach dem zweiten Weltkrieg fanden zahlreiche Flüchtlinge und Vertriebene aus dem Osten des Landes vorübergehend eine neue Heimat, die Einwohnerzahl stieg bis 1950 auf 460 Personen.

Nach dem Ende der kommunalen Selbstverwaltung der Dörfer Niedersachsens wurde Sellenstedt 1974 mit 293 Einwohnern ebenso wie das benachbarte Grafelde nach Adenstedt eingemeindet, das kurz darauf der Samtgemeinde Sibbesse beitrat. 2016 wurde diese mit insgesamt zwölf Orten in die Gemeinde Sibbesse umgewandelt. Das Verwaltungszentrum befindet sich im Ortsteil Sibbesse.

In Sellenstedt leben heute etwa 160 Menschen, von denen die überwiegende Zahl der berufstätigen Bewohner den Ort täglich verlassen muss. Während im 19. und bis ins 20. Jh. viele Handwerksbetriebe wie Tischler, Schreiner, Schuster, Schneider, Fleischer und Bäcker in Sellenstedt ansässig waren, bei denen man alles bekam, was nicht selbst erzeugt oder angefertigt werden konnte, müssen die Einwohner von Sellenstedt nun für die täglich notwendigen Einkäufe ihren Ort verlassen. Für alle Erledigungen sind Fahrten mit dem Auto mindestens bis zum Gemeindemittelpunkt Sibbesse, nach Alfeld oder zu Hofläden im Nachbarort Westfeld erforderlich. Von den zahlreichen landwirtschaftlichen Betrieben werden aktuell nur noch zwei im Vollerwerb und einer im Nebenerwerb bewirtschaftet.

Dennoch schätzen die Sellenstedter ihren Heimatort, über Jahrhunderte ein friedliches Bauerndorf, sehr. Sellenstedt ist noch immer ein ruhiger Ort, in dem vor Jahren zwei moderne und wirtschaftlich erfolgreiche mittelständische Handwerksbetrieb auf dem Gelände ehemaliger Höfe mit ihren Produktionen begannen.

Wie verlässlich eine gute und engagierte Dorfgemeinschaft funktioniert, konnte man 2022 bei den Feiern zum 1000-jährigen Dorfgeburtstag erleben.


Historische Baulichkeiten

Kirche St. Peter und Paul

Zu finden: Kirchplatz

Die barocke Kirche in Sellenstedt entstand in der Zeit zwischen 1648 und 1734. Ein bereits 1350 erwähnter mittelalterlicher Bau an derselben Stelle wurde vermutlich während der Zeit des Dreißigjährigen Krieges zerstört. Sowohl die damalige als auch die heutige Kirche wurden den Aposteln Petrus und Paulus geweiht.

Die heutige Kirche wurde vom Gutsherrn und Patron von Rauschenplat errichtet. Es entstand eine mit roten Pfannen gedeckte Kirche aus Bruchsteinen aus der Sellenstedter Feldmark, deren Eckquader und Fenstergewände aus rotem Werkstein gemauert sind. Nord- und Südseite der Kirche haben jeweils drei Rundbogenfenster. Die Patronatsfamilie konnte die Kirche über einen eigenen Eingang an der Ostseite der Kirche betreten, während die Dorfbewohner bis heute über den Eingang im Westturm in die Kirche gelangen.

Der quadratische Westturm, der schmaler ist als das Kirchenschiff, wurde 1748 angebaut. Turm und Kirchenschiff sind mit Kalkmörtel verputzt. Der Turmhelm hat vier Uhrgauben und rechteckige Schallfenster und ist in der oberen Hälfte mit grauen Schieferplatten behängt. Er wurde zwischen 1796 und 1800 fertiggestellt und ist mit Kugel, Wetterfahne und Jahreszahl bekrönt. Im Turm hängen eine Schlagglocke aus dem Jahre 1716 sowie eine Läuteglocke aus dem Jahr 1872, die von J. H. Bartels in Hildesheim gegossen wurden. Über dem Eingangsportal zur Kirche, über dem sich ein weiteres Rundbogenfenster befindet,  steht die Zahl 1748, das Jahr der Fertigstellung des Turmes. Außerdem ist hier das Jahr einer vollständigen Kirchenerneuerung 1912 zu erkennen. Die letzte Renovierung wurde 2005 durchgeführt.

Im Inneren wird das schlicht gestaltete Kirchenschiff mit Emporen im Osten und Westen durch eine klassizistische Altarwand dominiert. Unter dem Altartisch aus Sandstein liegt, von außen nicht sichtbar, die Reliquiengruft verborgen. Das mit der Renovierung im Jahre 1912 neu angeschaffte Altarbild in Öl, das Maria und Johannes unter dem Kreuz zeigt, ist die Kopie eines Dresdner Gemäldes. An der Stelle der ursprünglich in die Altarwand integrierten Kanzel wurde 1838 unter dem Dreiecksgiebel eine Orgel aus der Werkstatt des Orgelbaumeisters Heinrich Schaper aus Alfeld eingebaut, die 1911 erstmalig und 1979 nochmals durch einen Neubau (Schmidt & Thiemann, Hannover) ersetzt wurde. Der alte Orgelprospekt blieb jedoch erhalten.

An der Nordwand der Kirche befindet sich eine Holzkanzel mit Schalldeckel, die aus der Zeit des Kirchenneubaus stammt.

Ein um 1748 gefertigter Taufengel, der mit ausgestreckten Armen eine muschelförmige Taufschale hält, ist vermutlich eine Stiftung der Patronatsfamilie von Rauschenplat. Bis 1961 hing er ungenutzt in der Turmhalle, schwebt aber seit seiner Restaurierung im Jahre 1981 von der Decke des Ostchores und wird regelmäßig für Taufen genutzt.

Die Sellenstedter Kirche verfügt außerdem über einen steinernen Taufstein jüngeren Datums mit einsetzbarer Zinnschale.

Zwei der drei Kronleuchter der Kirche wurden 1613 und 1614 von Harmen Rauschenplat und seiner Frau Anna von Steinberg gestiftet. Der dritte Leuchter wurde 1912 angefertigt und ist ebenfalls ein Geschenk der Familie Rauschenplat.

Aus diesem Jahr stammen auch zwei farbig gestaltete Fenster mit Wappen. Auch diese sind Stiftungen der Patronatsfamilien von Rauschenplat und von Steinberg und wurden in der damals bedeutenden Werkstatt der Glasmaler Hubert Henning und Johann Andres in Hannover angefertigt.

Der alte Kirchhof war über lange Zeit Begräbnisstätte Sellenstedts. Seit 1925 werden die Verstorbenen etwa 500 Meter nordöstlich auf dem neuen kirchlichen Friedhof beerdigt. Letztes noch erhaltene Grabmal auf dem Kirchhof ist das des Lehrers Hennies und seiner Familie.

Ehemalige Dorfschule

Zu finden: Kirchplatz

Die ehemalige Dorfschule von Sellenstedt liegt direkt neben der Kirche. Sie war eine einklassige Schule mit einem Klassenraum im Erdgeschoss, die 1828 wegen wachsender Schülerzahlen um einen Anbau erweitert werden musste. Der Lehrer bewohnte mit seiner Familie eine Lehrerwohnung im Obergeschoss des Schulhauses.

1964 wurden in dieser Schule zum letzten Mal Erstklässler eingeschult – zu diesem Zeitpunkt wurden 28 Schulkinder unterrichtet – und vier Jahre später die Schule geschlossen. Von da an wurden die Sellenstedter Kinder zunächst in Adenstedt beschult. Heute besuchen sie die Grundschule in Sibbesse.

Ehemaliger Gutshof

Zu finden: Landstr. 7-11

Das Gut in Sellenstedt war über Jahrhunderte im Besitz und damit auch Sitz adeliger Grundherren, zunächst der Ritter von Sellenstedt und von 1510 an der Familie von Rauschenplat. Meier und Köthner in Sellenstedt waren den Gutsherren zu Hand- und Spanndiensten verpflichtet.

Friedrich Christian von Rauschenplat verkaufte das Gut Anfang des 19. Jh. an den Hildesheimer Bürgermeister Christoph Friedrich Lüntzel.

Mit der Ablöseverordnung von 1833 endete die Zeit der bäuerlichen Abgaben und Dienste. 1837 wurde die Familie von Steinberg auf Brüggen Besitzer von Gut Sellenstedt, die ebenfalls Besitzer des Rittergutes Harbarnsen waren. Die Familie von Steinberg gehörte seit Jahrhunderten zum niedersächsischen Hochadel und war sehr begütert. Zu ihren Besitzungen zählten die Rittergüter in Brüggen und Bodenburg, Wispenstein, Harbarnsen und schließlich auch Sellenstedt. Auf dem nun auch „von Steinbergsches Vorwerk“ genanntem Gut entstanden in den nachfolgenden Jahren/Jahrzehnten vier neue landwirtschaftliche Gebäude, die, anders als das alte Gutshaus, nicht in Fachwerkbauweise errichtet wurden. Von diesen sind das große Stallgebäude (für Pferde, Kühe und Sauen im unteren Bereich sowie großen Lagerflächen für Futter und Getreide in drei darüber liegenden Ebenen) und das Arbeiterwohnhaus auf dem Gutsgelände noch erhalten.  Außerhalb des Gutsgeländes steht ebenfalls noch eine Feldscheune auf der anderen Seite der Landstraße, während ein am südlichen Dorfrand errichtetes Gebäude mit Düngerschuppen und Schmiede 1960 abgerissen wurde. Die große Gutsscheune in Fachwerkbauweise aus dem Jahre 1699 brach 1946 zusammen und wurde nicht wieder aufgebaut.

Mit dem Tod von Ernst von Steinberg war seine älteste Tochter Jutta im Jahre 1911 Universalerbin. Durch ihre Heirat mit Burchard von Cramm im Jahre 1905 ging ihr Erbe und damit auch ihr Besitz in Sellenstedt auf die Familie von Cramm über.

Ab der Gründung der genossenschaftlichen Molkerei in Harbarnsen im Jahre 1896 wurde die in Sellenstedt produzierte Milch daher nicht mehr im Entrahmungsraum des Dorfes, sondern in Harbarnsen verarbeitet. Noch bis nach dem ersten Weltkrieg wurden die zum Gut gehörenden Ländereien von Harbarnsen aus von der mit den von Steinbergs familiär verbundenen Familie von Cramm bewirtschaftet.

Jutta Freifrau von Cramm verkaufte 1928 die Besitzungen in Sellenstedt und das Rittergut wurde damit aufgelöst. Die Ländereien im Norden, Osten und Süden erwarben Sellenstedter Landwirte, die noch verbliebenen Ackerflächen, Wiesen, Weideflächen sowie der gesamte Sellenstedter Forst und alle Gebäude des Rittergutes gingen, ebenfalls durch Verkauf, an Friedrich von Weinhagen.

Der am 18.1.1857 geborene Friedrich von Weinhagen war der ältester von vier Söhnen des Landwirtes Georg-Friedrich Weinhagen. Ende der sechziger Jahre des 18. Jahrhunderts war die Familie nach Amerika ausgewandert. Friedrich wurde dort Brückenbauingenieur und gründete zusammen mit seinem jüngsten Bruder Berthold ein Unternehmen, das u.a. die Brückenbauten über dem Niagara errichtete, kehrte aber 1920 nach Hildesheim zurück. Nach dem Erwerb der Sellenstedter Güter errichtete Weinhagen am 10.1.1929 zugunsten einiger in Hildesheim verarmt lebender Familienangehörigen eine Stiftung, mit deren Hilfe diese nach seinem Tod am 4.4.1930 finanziell unterstützt wurde. Später ging das Vermögen der Friedrich Weinhagen Stiftung auf seine Heimatstadt Hildesheim über.

Das Gut in Sellenstedt wurde jedoch nie von der Stiftung selbst, sondern von Pächtern bewirtschaftet. Erster Pächter war ein Landwirt aus Holle.

1932 pachtete der Diplom-Landwirt Eduard Willers aus Algermissen das Gut in Sellenstedt von der Friedrich Weinhagen Stiftung und bewirtschaftete dieses für fast vier Jahrzehnte bis zum Jahre 1971.

An die wechselvolle und erfolgreiche Geschichte des Gutes und die enge Bindung von Dorfbewohnern zum Sellenstedter Gut erinnert sich der Willers-Sohn Benno hier.

Er wuchs mit seinen fünf Geschwistern noch im ältestes Gebäude Sellenstedts, dem Fachwerk-Herrenhaus des Gutshofes, auf. Dieses wurde 2006 abgerissen. Nach dem Abriss blieben vom historischen Gutshaus nur noch Teile der Grundmauern erhalten, die parallel zum Lindenweg liegen, dort außerdem die Pfosten der alten Toreinfahrt. Für die Jahre des Ruhestandes bezogen Eduard Willers und seine Frau nach 1971 einen Neubau am Küchengarten.

Abgebaut und „als Sommerhaus am Walde wieder aufgebaut“ ( s. P. Graff, Die Geschichte des Landkreises Alfeld, S. 484 ) wurde ein in Sellenstedt als „Lusthaus“ bekanntes Gebäude, das dem bereits erwähnten Gebäude mit Düngerschuppen und Schmiede Platz machen musste. Das achteckige Fachwerkhaus mit spitzem Dach auf einem zum Gut gehörenden Weidegrundstück wurde noch in den Jahren vor 1900 als Sommerhaus der Gutsfamilie genutzt, die hier mit ihren Gästen Feste feierte. Von den im Halbkreis um dieses Lusthaus gepflanzten Bäumen stehen bis heute noch zwei Linden und eine Eiche.

Das in den ersten Jahren des 20. Jh. abgebaute Sommerhaus wurde am Waldrand oberhalb und mit Blick auf Sellenstedt wieder aufgebaut und dort noch um einen Anbau mit Küche erweitert. Nach dem 2. Weltkrieg wurde das Gebäude mehrfach aufgebrochen, zerstört und schließlich abgebaut, so dass heute nur noch Mauerreste existieren. Der Schattenwurf des Lusthauses mit seinem spitzen Dach ist aber noch heute in einem Gemälde zu erahnen, das 1945/46 entstand und über das hier mehr zu erfahren ist

Ehemaliger Gasthof Pape

Zu finden: Krugkamp 6

Zwei Gasthöfe konnte der kleine Ort Sellenstedt einst vorweisen. Eine dieser Gaststätten führte das „Multitalent“ und Sellenstedter Urgestein Alfred Pape, „wortgewaltig und von stattlicher Figur“. Pape stand nicht nur für die Dorfbewohner hinter seinem Tresen, sondern sorgte außerdem als Bauer für seinen landwirtschaftlichen Betrieb und als Dichter für das Sellenstedter Dorflied.

„Ich kann mich noch an den Gastraum erinnern, auch daran, dass aus dem Anwesen schon damals einer der größten landwirtschaftlichen Betriebe in Sellenstedt entstanden war. Aus historischen Urkunden lässt sich nachweisen, dass auf dem Grundstück des jetzigen Haus Pape bereits 1772 ein „Dorfkrug“ betrieben wurde.“ (B. Willers)

Gegenüber des erwähnten Bauern- und Gasthofes gelegen hat in einem früher zugehörigen Stallgebäude Alfreds Enkel einen hochmodernen Metallverarbeitenden Betrieb gegründet.


Spuren von historischen Produktionsstätten

Backhaus der Bäckerei Beyes/Koch

Zu finden: Landstr. 3

In der Häuserliste Sellenstedts aus dem 19. Jh. sind 19 Kothöfe mit eigenem Backhaus verzeichnet – eine ungewöhnlich hohe Zahl, denn in vielen andern Dörfern war den Bewohnern aus Sicherheitsgründen nur die Nutzung eines zentralen Dorfbackhauses erlaubt. In Sellenstedt handelte es sich um kleine Backhäuser aus Lehm und Fachwerk mit Schornstein, die sich wegen Feuergefahr außerhalb der Wohngebäude befanden. Ende des 19. Jh. wurde die Nutzung der privaten Backhäuser untersagt.

Über viele Jahrzehnte kauften die Sellenstedter nun ihr Brot beim Bäcker Beyes an der Landstraße. In dem noch heute existierenden Backhaus fertigte der Bäckermeister Heinrich Beyes ab Anfang des 1880er Jahre Brote und Gebäck. Darüber hinaus konnten die Dorfbewohner ihre auf Blechen vorbereiteten Wochenend- oder Feiertagskuchen in seiner Backstube abliefern und dort später gebacken wieder abholen. 1925 übernahm Heinrichs Sohn Hermann die Backstube und führte den Betrieb bis in die Nachkriegszeit weiter. In den 1950er Jahren wurde die Bäckerei vom Bäckermeister Koch übernommen, der sie noch bis 1989 weiterbetrieb.

Der in Sellenstedt geborene und aufgewachsene Benno Willes erinnert sich: „In seinem Obstgarten war immer ein ungewöhnlicher Holzstapel aufgeschichtet. Das waren keine gesägten und ofenfertig gehackten Holzscheite, wie sie überall als Brennmaterial zu sehen waren, das waren längs gespaltene Stämme, sicherlich einen Meter lang, für seinen Backofen.“

Sellenstedter Sauenviertel

Zu finden: auf dem Wiesengrundstück zwischen den Häusern Küchengarten 5 und 9

Der Gutspächter Eduard Willers hatte wohl ein großes Herz für seine Zuchtsauen und deren Nachkommen, denn vermutlich nirgendwo sonst im Hildesheimer Land wurden Schweine so komfortabel untergebracht wie in Sellenstedt. Willers sorgte dafür, dass jede Zuchtsau seines Betriebes mit ihren Ferkeln ein „Eigenheim mit Garten“ bewohnen konnte, die auf der Schweinewiese nebeneinander aufgereiht standen. Heute etwas baufällig weil mangels Schweinen nicht mehr genutzt und gepflegt, kann man sie zumindest noch auf dem Grundstück zwischen den Häusern Küchengarten 5 und 9 unter Bäumen erspähen.